Intuitiv essen?

Suvan im Fischbrötchen-Rausch

Fändest du das nicht auch verlockend: zu essen, wann und was du willst, ohne Plan und Überlegung, ob das nun gesund ist oder nicht, einfach aus deinem unmittelbaren Bedürfnis heraus, ganz spontan?

Essen mit Bauchgefühl, ohne Ernährungsregeln, ohne Verzicht und ohne schlechtes Gewissen, um wieder mehr auf seinen Körper als auf den Kopf zu hören, das verspricht die Intuitiv-Essen-Bewegung.

Seit ihrem Beginn vor etwa 6 Jahren, hat sie sich zunehmend Gehör verschafft und gilt mittlerweile als trendy. Auch Flow-Autorin Marie von Elst hat sich für diesen Ernährungs-Trend entschieden, um ihren überhöhten Erwartungen an sich selbst zu entkommen:

 

Ich bin ein Mensch, der gern alles richtig macht. Leider merke ich jedoch immer wieder, wie sehr mich dieser Perfektionsanspruch stresst,

gesteht sie. Für eine gesunde Ernährung habe sie auf vieles verzichtet und die unterschiedlichsten „Essensweisheiten“ befolgt.

„Ich war oft müde und gereizt – ganz egal, wie gesund ich mich ernährte. Ich jagte einem Ideal hinterher, das ich nie erreichen konnte. Das macht schlechte Laune – ganz egal, ob man dabei in ein Stück Pizza beißt oder in eine Stange Sellerie.“ Nach der Lektüre eines Artikels aus Heidi Rabbachs Blog einfachmaleinfach zieht Marie die Reißleine: Am Ende einer durcharbeiteten Nacht belohnt sie sich am frühen Morgen mit einem Stück Zitronencreme-Torte. Mit Genuss und ohne schlechtes Gewissen!

Wibkes Torte „Kanadischer Sommernachtstraum“

Sicherlich geht es dir auch manchmal wie Marie mit ihrer frustrierenden Anstrengung, sich immer richtig zu ernähren. „Vielleicht ist der Stress hinter dem Versuch, immer perfekt sein zu wollen, sogar schädlicher als eine Fertigmahlzeit“, gibt Heidi Rabbach zu bedenken.

Doch auch die Intuitiv-Essen-Bewegung meint nicht, dass du ununterbrochen Zitronentorte essen solltest. Wenn du kurzfristig deinen spontanen Wünschen nachgibst, wirst du auf Dauer dein ungesundes Essverhalten ablegen, so Heidi Rabbach. Denn eine ideale Ernährung gäbe es gar nicht, jeder Mensch müsse die für ihn passende finden, und die sei so „individuell wie unser Fingerabdruck“.

Foto: Wibke Anton

Eine Ernährung finden, die so individuell ist wie unser Fingerabdruck,

poetischer kann man auch das Ziel der 5-Elemente-Ernährung nicht beschreiben! Wir sollen nicht nach Regeln sondern aus einer inneren Freiheit heraus essen, so der Zen-Ernährungsphilosoph Georges Oshawa.

Wie aber können wir zu dieser Freiheit gelangen? Ist sie wirklich so direkt zugänglich über unsere Intuition? Und ist Intuition überhaupt das, was mir so gerade in den Sinn kommt?

Nach der Philosophie der 5 Elemente speist sich unsere Intuition aus dem Zusammenspiel unserer Körperseele Po und mit der Geistseele Yi. Was wir körperlich erfahren, muss geistig eingeordnet und verstanden werden. Intuition ist also weitaus mehr als ein reines Bauchgefühl.

Wir sollten aus einer inneren Freiheit heraus essen

Mit der Interpretation dessen, was wir spüren, liegen wir aber durchaus nicht immer richtig. Das kenne ich auch aus eigener Erfahrung: In meiner Kindheit hat mir meine Oma immer einen Milch-Kakao gekocht, wenn ich Angst hatte. Das hat meinen Yi mit der Information versorgt, dass Milchkakao gut für mich sei. Signale wie Bauschmerzen konnte ich damit gar nicht in Verbindung bringen. Meine Intuition in Bezug auf Milch war blockiert.

Was wir spontan als Intuition bezeichnen, ist also oft eine Form von Konditionierung. Das kann bedeuten, dass wir intuitiv Nahrungsmittel mögen, die uns nicht guttun. Dadurch kommt es zur Bildung von Tan, der Geist und Körper verschlackt und damit unsere Intuition blockiert. Unser Denken wird unklar und kann die Signale unseres Körpers nicht richtig zuordnen.

Foto: Suvan Schlund

Manchmal mögen wir Nahrungsmittel, die uns nicht guttun. Dann ist unsere Intuition blockiert

Die Daoisten sagen, du musst Geist, Herz und Verstand erst einmal von alten Schlacken Tan befreien, um deiner Intuition auf die Spur zu kommen. Nur dann wirst du deinen ganz individuellen Fingerabdruck in dieser Welt finden und hinterlassen können.

Die 5-Elemente-Basis-Ernährung zeigt dir eine Möglichkeit, wie du diesen Weg gehen kannst. Wir haben uns bemüht, ihn möglichst einfach und wenig normativ darzustellen. Damit wollen wir zum Ausdruck bringen, dass du dich nicht zwingen sollst, und dass es keine Normen gibt, wie dieser Weg zu deiner individuellen Ernährung auszusehen hat.

Vielleicht gehörst du aber zu den Menschen wie Marie, die schnell mit Druck reagieren und alles perfekt machen wollen. Unsere Gesellschaft ist ja sehr angespannt und leistungsorientiert, und es ist ziemlich schwierig, sich von Druck und Perfektionismus frei zu machen.

„Es ist ziemlich schwierig, sich von Druck und Perfektionismus zu befreien

Es kann also sein, dass du wie Marie schon viele „Ernährungsweisheiten“ ausprobiert hast und dich und deinen Körper auf diesem Weg verloren hast. Dass du schon gar nicht mehr weißt, ob du hungrig oder satt bist, ob dir das guttut oder schmeckt, was du gerade isst.

Unter diesen Umständen ist es dir vielleicht erst einmal nicht möglich, die Regeln der 5-Elemente-Basis-Ernährung einzuhalten. Dann ist es in der Tat höchste Zeit innezuhalten und allen „Ernährungsweisheiten“ erst einmal den Rücken zuzukehren.

Die Haltung, immer nur „das Richtige“ essen wollen, ständig darüber nachzugrübeln und darüber den Bezug zu sich selbst zu verlieren, kann sich zu einer Krankheit entwickeln. Die heißt Orthorexie. Wenn du so etwas hast, brauchst du therapeutische Unterstützung.

Meist hilft eine Hau-Ruck-Methode à la „dann iss doch mal einfach, worauf du Lust hast!“ nicht weiter. Denn intuitiv zu essen ist leider auch nicht so einfach wie es scheint. Sobald Genussmittel wie Kaffee, Zucker und Alkohol mitspielen dürfen, musst du aufpassen, dass du die Spielregeln noch selbst bestimmst.

Meine persönliche Genuss-Devise lautet: klein und fein. Wenn ich mich belohnen will, tue ich das gelegentlich mit einem Besuch in meinem Lieblings-Café Törtchen Törtchen.

Feingenuss im Kölner Café Törtchen Törtchen

Auch im Rahmen der 5-Elemente-Ernährung gibt es Süßes – allerdings ohne Zucker. Denn mit ihrem großen Einfluss auf dein Nervensystem neigen Genussmittel im Übermaß dazu, die Regie in deinem Körper zu übernehmen. Dann mag dir zwar das erste Stück Sahnetorte ein Hochgefühl bereiten, aber zu viele davon werden deine Stimmung langfristig dämpfen, deine Bauchspeicheldrüse belasten und den Zeiger deiner Wage in die Höhe treiben.

Im Kokon kannst du dich besser an Spielregeln halten

Eine aus gekochtem Getreide, Gemüse und überwiegend veganen Eiweißquellen bestehende 5-Elemente-Basis-Ernährung mit zuckerfreien Süßspeisen kann deinen Geist klären und deinen Körper harmonisieren. Auf diese Weise kann sich deine Intuition allmählich entwickeln.

Meiner Erfahrung nach fällt es in dieser Zeit leichter, sich konsequent nach der „Methode Kokon“ zu ernähren: Für eine Zeit von mindestens 3 Wochen hältst du dich konsequent an die Spielregeln der 5-Elemente-Basis-Ernährung. Die Entschlackung verbindet dich wieder stärker mit deinem Körper, so dass dir die Körperseele eindeutige Signale senden kann.

In dieser Entschlackungsphase ist es ratsam, vollständig auf Genussmittel zu verzichten und sich ausnahmslos an die Spielregeln zu halten. Dabei ist es wichtig, die Zügel nicht zu sehr zu straffen! „Bittere Beschränkung bringt Unheil“, sagt das IGing. Nur eine „zufriedene Beschränkung bringt Gelingen“. Das IGing spricht sogar von einer „süßen Beschränkung“. Verzichten kann nämlich auch ein Ausdruck von Freiheit sein. Wie die „kleine Schule des Genießens“ lehrt, gibt es ohne Verzicht auch gar keinen Genuss.

Wir brauchen eine 5-Elemente-Ernährung, die sich dem Wahn von Perfektion und Selbstoptimierung konsequent verweigert

Mein Mann Jürgen und ich haben 15 Jahre im „Kokon“ gelebt, ohne Zucker, Kaffee, Alkohol. Wir aßen nur 5-Elemente-Mahlzeiten, und auch unterwegs hatten wir immer Tupperdosen mit „unserem“ Essen dabei. Selbst auf dem Polterabend meines Bruders habe ich schwarze Bohnen gegessen, während sich alle um mich herum mit Bockwurst und Kartoffelsalat vergnügten.

Wenn du mich fragst, wie ich das durchgehalten habe, muss ich zugeben, dass es kein „Durchhalten“ gab. Ich war einfach glücklich in meiner Welt, habe viel und lecker gekocht. Denn Freude, Genuss und Wohlbehagen sind so unglaublich wichtig! Wenn du mit der 5-Elemente-Ernährung Erfolg haben willst, reicht es auf Dauer nicht, in eine Stange Sellerie zu beißen!

In diesem Prozess habe ich meinen Körper erst richtig kennengelernt. Atmen, schmecken, fühlen – die 5-Elemente-Ernährung hat mir zu einem Körpergefühl verholfen, dass ich bis dahin trotz Yoga und Meditation nicht kannte.

Freude, Genuss und Wohlbehagen sind so unglaublich wichtig

Dazu muss man lernen, „das ist lecker“ von „das tut mir gut“ zu unterscheiden. Nicht alles was lecker ist, tut dir auch gut. Ob dir etwas gut tut oder nicht, entscheidet die langfristige Wirkung. Die erkennst du, wenn du dein Essen in dir nachklingen lässt, daran, wie du dich fühlst, wenn es schon eine kleine Weile in deinem Bauch ist.

Die Zügeln nicht zu sehr straffen!  Foto: Törtchen Törtchen

So habe ich mich letzten Sommer an ein Lieblingsgetränk aus „alten Zeiten“ gewagt und einen Eiskaffee getrunken. Unmittelbar hat er wunderbar geschmeckt, aber ich habe mich danach nicht wirklich gut gefühlt. Daraufhin hatte ich keine Lust mehr, dieses Experiment zu wiederholen. Mit einem Glas Wein zu einem festlichen Essen und einem Espresso danach komme ich hingegen gut zurecht.

Ich glaube, dass die Entwicklung dieses besonderen Köpergefühls durch die 5- Elemente-Ernährung sehr zur Verbesserung unserer Intuition beiträgt, denn unsere Körperseele wohnt in der Lunge. Von Schlacken (Tan) befreit, kann die Lunge das Qi besser ergreifen. Gleichzeitig ist sie auch durchlässiger für subtile Schwingungen. Auf diese Weise entwickeln wir den berühmten „Riecher“ – für uns selbst und auch für andere.

Wenn du das erlebst, möchtest du natürlich auch wissen, wo das herkommt und wie das alles zusammenhängt. Diese Phase ist meist geprägt von einem unbändigen Wissendurst über das, was die 5-Elemente-Ernährung ausmacht und wie sie auf Körper und Geist wirken. Durch das Studium der 5 Elemente wirst du die Signale deines Körpers immer besser verstehen und auf sie eingehen können.

Die Intuitiv-Essen-Bewegung ist ein Aufschrei gegen den Druck, einem Ideal hinterherzujagen, das wir niemals erreichen können

Kochen, essen, lernen – im Verlauf dieses Prozesses kannst du dein inneres zu Hause finden. Nach und nach werden sich Fenster öffnen, die dir einen Ausblick in das unendliche Universum geben und dich mit dem Kosmos verbinden.

Es kann zum Beispiel sein, dass du plötzlich mehr Appetit auf Saures hast. Erst später fällt dir auf, dass es Frühling geworden ist, dem der saure Geschmack zugeordnet ist. Du hast eine Intuition entwickelt, eine Sensibilität, die sich zunächst zaghaft und dann zunehmend deutlicher meldet. Je mehr sich Yi und Po verbinden, desto stärker entfaltet sich deine Intuition für das, was dir guttut.

Aus einer gewissen Perspektive könnte man die Intuitiv-Essen-Bewegung auch interpretieren als einen Aufschrei gegen die Verzweckung eines Lebensstils, in dem es beim Essen nicht mehr um Freude, Genießen und Wohlbehagen geht, sondern darum einem Ideal hinterherzujagen, das wir niemals erreichen können. Die den individuellen Fingerabdruck sucht und sich wehrt gegen den Druck zur Konformität von schönen, schlanken, gesunden Menschen.

Wir brauchen eine poetische Ernährungsphilosophie, um uns wieder für die Schönheit der Welt zu öffnen

Auch die 5-Elemente-Ernährung muss sich gegen eine solche Vereinnahmung sperren. Wir brauchen eine 5-Elemente-Ernährung, die sich dem Wahn von Perfektion und Selbstoptimierung konsequent verweigert. Nur wenn wir uns für die Schönheit der 5-Elemente-Philosophie öffnen, können wir die 5-Elemente-Ernährung davor bewahren, sie dem Fetisch von fitter-schöner-gesünder zu opfern.

Um sich von äußeren Regeln zu befreien, müssen wir ein feines Gespür für unsere eigenen Bedürfnisse entwickeln, in der langfristig auch Genussmittel einen Platz haben dürfen.

Wir brauchen eine poetische Ernährungsphilosophie, um uns wieder für die Schönheit der Welt zu öffnen, die uns eine so reiche Nahrungsvielfalt beschert, mit der wir freudig und spielerisch ausprobieren können, wer wir sind und wer wir sein wollen. Nur mit einer solchen Vision werden wir dazu in der Lage sein, frei nach unserer Intuition zu essen.

Sooni Kind

 

In unserem Ende Oktober erscheinenden Podcast „Zwischentöne“ werden Sooni Kind und Suvan Schlund über das Spannungsverhältnis zwischen Regeln und Freiheit diskutieren.

Dazu würde uns auch deine Meinung interessieren:

Passen Genussmittel in die 5-Elemente-Ernährung? Werde ich frei, wenn ich mich an die Regeln der 5-Elemente-Ernährung halte oder engt mich das ein? Wie sieht die Entwicklung mit der 5-Elemente-Ernährung bei den „alten Hasen“ unter euch aus, die die 5-Elemente-Ernährung schon länger praktizieren?

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